Viel zu lange hatte ich den falschen Herren gedient. Soweit ich mich zurückerinnern kann, hegte ich meine Zweifel an ihnen,
erstickte aber immer schnell die Flamme des Skeptizismus aus Loyalität für das größere Ziel. Ich nahm die neuentstandene
Religion des Zionismus an. Nichts ist einfacher, als in den Sog des Nationalismus zu geraten. Selbst heute noch, wenn ich
auf meine zerbrochenen Träume zurückblicke, fühle ich einen Schauder, wenn auch nur von weitem die israelische Nationalhymne
erklingt.
Ich hatte mein Leben jenem Land gewidmet und der einzigartigen Lebensweise, die es zu bieten schien. Es tut mir nicht um die
verlorenen Jahre leid, die ich danach strebte, den soganannten israelischen Traum zu verwirklichen. Mich schmerzt lediglich,
etwas grundlegend Falschem angehangen zu haben. Der Zionismus existiert, genau wie die Apartheid, nur zum Wohle eines einzelnen
Volkes. Schon von der Definition her ist es eine obsolete, dem neunzehnten Jahrhundert angehörende rassistische Bewegung, die
nach Maßstäben der Menschenrechte keiner Prüfung standhalten würde.
Wenn Privilegien durch einen Staat bewilligt oder entzogen werden auf der Basis der Religionszugehörigkeit oder des ethnischen
Ursprungs seiner Bürger, wird erwartet, ja ist es sogar notwendig, dass dem Staat erlaubt wird, die Zugehörigkeit der Herkunft
eines bestimmten Bürgers zu überprüfen, dem er Privilegien gewähren oder entziehen soll. So etwas kann nur als diskriminierende
und rassistische Politik bezeichnet werden, und genau diese Politik liegt der Gründung des zionistischen Staates zugrunde.
Der Zionismus ist eine politische Bewegung, die in den siebziger Jahren zwei drastischen Veränderungen unterworfen wurde. Die
erste geschah, als die Regierung akzeptierte, dass dem Rabbiner die Autorität zukomme, anhand der Abstammung zu bestimmen, wer
Jude ist und wer nicht. Diese Entscheidung hatte den Effekt, die gesamte jüdische Reformbewegung aus der jüdischen Rasse
herauszulösen, da Konversionen und sonstige von Reform-Rabbinern vollzogene Handlungen vom israelischen Staat nicht anerkannt
werden.
Und dann kam 1977 der rechte Block von Menachem Begin an die Macht. Von nun an schrieb der soganannte Neozionismus das
Schlagwort vom Groß-Israel auf seine Fahnen. Und seine Pioniere, die Siedler in den besetzten Gebieten, machten sich die
religiöse Vorstellung zu eigen, dass sie, natürlich, die Garantie zur Erfüllung des uralten, von Gott gemachten
Versprechens an das Volk Israel darstellten. Diese Vorstellung wäre akzeptabel, wenn die Erfüllung dieses Verprechens
an keine Bedingungen geknüpft wäre, oder wenn doch Bedingungen existierten, müsste man ihnen entsprechen.
Aber dies ist nicht der Fall. Als das Volk Israel aus dem Gelobten Land nach der Zerstörung des Zweiten Tempels vertrieben
wurde, hieß es, dass Gott das Volk Israel über die ganze Welt zerstreue und dass er und er allein, sobald es gerecht und dem
Herrn wohlgefällig wäre, den Messias schicken würde, um es zurück in sein Land zu führen und um das Königreich Davids
von neuem zu errichten. Nirgends steht geschrieben, dass er eine nationale Bewegung namens Zionismus schaffen würde, die
sein Stellvertreter auf Erden werden sollte.
Ich habe kein Problem mit dem Staat Israel und dem Bedürfnis des jüdischen Volkes, ein eigenes Land zu besitzen.
Ich finde es aber problematisch, die Schrift zu benutzen, um die Entwurzelung eines anderen Volkes im Namen einer
Religion zu rechtfertigen, die wir gar nicht praktizieren, während wir für jene, die sie praktizieren, Feinde sind.
Es ist ein wohlgehütetes Geheimnis, dass die ultraorthodoxen Juden, die in Israel und in der Diaspora leben,
den Staat Israel nicht anerkennen. Yassir Arafat hat sogar einen ultraorthodoxen Juden, Rabbi Harsh, zu seinem
Minister für jüdische Angelegenheiten ernannt. Der Rabbi sollte Delegierter der Palästinenser bei den
Madrider Friedensgesprächen sein. Als er gefragt wurde, warum er nicht hinführe, sagte er, weil er nicht bereit sei,
mit den Zionisten an einem Tisch zu sitzen.
Die Kompromisse hinsichtlich der besetzten Gebiete, die der zionistische Staat gegenüber den Palästinensern macht,
sind nichts anderes als eine oberflächliche Geste. Sie basiert auf der Annahme, dass die Palästinenser aus einem
unerklärlichen Grund bereit wären, ihren Willen, ihre nationalen Bestrebungen aufzugeben für das Recht, Bürger
zweiter Klasse in einem nicht näher definierten Territorium zu sein.
Vergessen wir nicht, dass sogar die Balfour-Erklärung, worauf die zionistische Bewegung ihre Legitimität stützt,
deutlich macht, dass die Erfüllung des zionistischen Traums nicht auf Kosten des nichtjüdischen Volkes von Palästina
gehen dürfe:
»Die Regierung seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Gründung einer nationalen Heimstatt für das jüdische
Volk in Palästina, und sie wird alle ihre Kräfte einsetzen, um die Verwirklichung dieses Ziels zu erleichtern,
wobei wohlverstanden nichts unternommen wird, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der in Palästina
ansässigen nichtjüdischen Gemeinschaften verletzen könnte, bzw. was das Recht oder den politischen Status
verletzen könnte, den die Juden in jedem anderen Land genießen.« ( 1 )
Wenn man erst einmal seine ganze Existenz auf einer Lüge aufbaut, kann es keine Moral für irgendwelche Handlungen
geben. Und der Arm zur Umsetzung der Handlungen des israelischen Staates ist der Mossad, der daher die größte Lüge ist.
Der Mossad ist der aktivste aller westlichen Geheimdienste, ständig auf der Suche danach, jene anzugreifen, die er als
Feinde des Staates ansieht, ob sie sich innerhalb oder außerhalb des Landes befinden. Mir ist es gelungen,
mit meinen Aktionen zu zeigen, dass der Mossad nicht einmal Dinge bemerkt, die direkt vor seiner Nase passieren,
und dass er viel weniger verschwiegen ist, als er gerne glauben machen möchte.
Mein Volk, das jüdische Volk, hat immer und bei jeder Gelegenheit gesagt, dass jeder dafür verantwortlich ist,
was in Europa durch die Nazis geschah, weil sie es durch ihr Schweigen erst möglich machten. Wenn der Tag kommt,
an dem die israelischen Generäle und Politiker für ihre Handlungen in den besetzten Gebieten und sonstwo
Rechenschaft ablegen müssen, dann werde ich zumindest wissen, dass ich nicht geschwiegen habe.
Für jeden, der Verständnis für Militärstrategie hat, ist klar, dass Israel, auch wenn es seine arabischen Nachbarn
in einem örtlich begrenzten Krieg besiegen kann, es sie nicht zu überrennen oder zur Kapitulation zu zwingen vermag.
Solange demnach ein nicht gelöster Konflikt schwelt, insbesondere ein solcher, bei dem Israel eindeutig der
Aggressor ist, ist das Schicksal des Landes besiegelt und seine Zerstörung eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Für das Volk Israels ist es höchste Zeit, in die Diskussion einzutreten, und zwar über seine Ideologie.
Wollen die Juden Bürger einer wirklichen Demokratie sein oder Wächter der Festung Israel? Sie brauchen sich doch
nur die Berge Israels anzuschauen, die übersät sind mit Festungen, die alle mit der Zeit untergegangen sind.
Der Judaismus ist ewig, der Zionismus nur eine Episode. Israel wird nur als ein säkularisierter Staat zwischen
Jordan und Mittelmeer sicher sein, in dem alle Völker frei sind und die gleichen Rechte besitzen.
Überlassen wir es Gott, den Dritten Tempel zu errichten.
( 1 ) Zitiert nach Nathan Weinstock: Das Ende Israels? Berlin 1975, S.105.
Victor Ostrovsky - "Geheimakte Mossad"
ISBN 3-570-12174-7
Victor Ostrovsky wurde 1949 in Kanada geboren, wuchs aber in Israel auf. Mit 18 Jahren wurde er der
jüngste Offizier der israelischen Armee. Anfang der achziger Jahre warb ihn der Mossad an. Nach vier Jahren
Geheimdiensttätigkeit wurde er unter ominösen Umständen entlassen. Heute lebt er wieder in Kanada.
1990 veröffentlichte er ( zusammen mit Claire Hoy ) das Buch "Der Mossad", gegen das der Staat Israel per
einstweiliger Verfügung einzuschreiten versuchte und das in der Folge zu einem internationalen Bestseller
avancierte.